Peter - Michael Sperlich....................................................................................................................... - zurück zu Index Erzählungen 
      „Das verstehen  Sie doch, oder?" (1) 
        bzw.  
      Wieder daheim  ... 
        
      Acht lange, lange Jahre hat es gedauert, bis ich  endlich wieder da war, wo ich hingehöre - daheim in Deutschland, jenem  hochentwickelten, hochindustrialisierten, hochkulturellen, hochdemokratischen,  hochorganisierten Staat im Herzen Europas, in dem ich, falls es überhaupt  jemand wissen will, dem neugierig Fragenden mindestens zwei Mal und dann auch  nur ganz langsam und gut artikuliert „U - ru - guay“ sagen muss, wenn ich  erklären soll, wo ich mich denn in den letzten Jahren in der Sonne und  faulenzenderweise herumgedrückt habe, während der brave, rechtschaffene  deutsche Lehrer „vor Ort“ geblieben ist und von morgens bis abends gearbeitet  hat, um mit der Unbill der Schülerschaft fertig zu werden. 
        Um besser verstanden zu werden bin ich aber darauf  gekommen, als Ortsangabe lieber „Monte-video“ zu sagen, weil dieses Wort ist  schon eher in der Lage (2),  den Anflug eines verstehenden Aha-Gesichtes - gleichgültig, ob akademisch  vorgebildet oder nicht - herbeizuzaubern, des Öfteren gefolgt von der Bemerkung  „Da können Sie aber bestimmt gut Portugiesisch ... (zögerndes Zweifeln)!?“ oder  jovial aufgeschlossen „Und - wie isses denn so in Paraguay (was sich  „Parragwei“ anhört)?“ Meine dem Leser verständliche Korrektur in „Uruguay“  lässt dann - seltsam - keine weitere Bemerkung mehr zu, weil sich der/die/das  Gegenüber flugs einem deutschen Thema zugewandt hat. 
        Und was lernt uns das? (3) Dass ich eben nicht erwarten kann, dass sich irgendjemand noch an den  Runderlass des Kultusministers NRW vom 5.10.1981, überschrieben mit „Nutzung  der Erfahrungen der aus dem Auslandsschuldienst zurückkehrenden Lehrkräfte“,  erinnert. Wer wird denn so etwas Altes noch präsent haben, wenn es um die  aktuelle Schulsituation mit all ihren Problemen geht, an deren Fortentwicklung  sich die Auslandsdienstlehrkraft über Jahre hinweg vorbeigedrückt hat. Insofern  ist volles Verständnis für die Bemerkung des Schulleiters, dessen Nachfolge ich  ursprünglich antreten sollte, aufzubringen: „Soso, acht Jahre waren Sie  weg!“... (bedeutungsvolle Pause) Süffisant vorgebrachte Fortsetzung: „Da hat  sich im unserem Bereich aber viel geändert!“ Ich sehe noch den Sack  Ausrufezeichen über den Tisch purzeln und mich, dem Versuch eines  durchbohrenden Blickes tapfer standhaltend. Mein Hinweis, dass ich doch vor  meinem Auslandsaufenthalt bereits fünf Jahre lang eine Schule geleitet habe,  wird von oben herab und mild lächelnd von meinem gleichgestuften Kollegen mit  einem „Das ist ja nun schon einige Zeit her!“ annulliert. Ich erkläre ihm  weiter, dass ich mich in den zurückliegenden Jahren selbst fortgebildet habe  und lasse auch die Namen der Zeitschriften und benutzten Bücher einfließen,  aber anscheinend spreche ich in dem Moment eine für ihn unbekannte Sprache,  denn er dreht das Gespräch zu viel wichtigeren Sachverhalten wie der verbotenen  Raucherecke und den ständigen Problemen mit dem Beschmieren der Toiletten und  außerdem zu der freudigen Information, „dat mer jetz och ne Drucke’ kräje han“. (4) 
        Es mag ja sein, dass die Rückkehr als normaler  Lehrer reibungslos vonstattengeht (suspekt bleibt aber auch er allemal). Bei  der Rückkehr in eine Funktionsstelle gestaltet sich die Wiederverwendung (5) im innerdeutschen Schuldienst schon etwas komplizierter. Schließlich warten so  viele Schulleiter im Schulbereich als sogenannte Unterbringungsfälle auf eine  Versetzung. Und nun kommt auch noch einer aus dem Ausland mit dem Anspruch und  dem Recht auf eine der Besoldungsgruppe angemessenen Verwendung!  
        In meinem Gedächtnis hatte sich noch - obwohl schon  lange zurückliegend - sehr frisch die Erinnerung an die Rückkehr als Konrektor  nach der Erstvermittlung erhalten: Besuch beim RSchD (= Regierungsschuldirektor)  ein Jahr vorher, dann - in der Heimat - innerhalb von sechs Monaten Abordnung  an vier verschiedene Schulen, wobei mein Aufenthalt an der ersten nur etwa 20  Minuten betrug. Die hatten mich gar nicht brauchen können, - aber das wusste  der RSchD in jenem Moment noch gar nicht. 
        Auf der Basis solcher Erfahrungen, wissend um die  durch das Sein als Funktionsträger verschärften bürokratischen Verwicklungen,  gedachte ich es besonders gut zu machen: ein Jahr und zwei Monate vor dem Ende  meines Vertrages meldete ich mich persönlich bei der für mich zuständigen  RSchD’in, die mir nicht verriet, dass sie nur wenige Monate vor der  Pensionierung stand, während des Heimaturlaubs zurück. 
        Heute weiß ich mehr! Ich war einfach zu früh. D a s  war mein Fehler! Bei diesem bis ins letzte Detail durchorganisierten  bürokratischen Staatswesen m u s s t e eine solche atypische, gegen die guten  bürokratischen Sitten gerichtete Verhaltensweise ja Verwirrung stiften, da es  sich inzwischen eingebürgert zu haben scheint, alles immer spät oder besser  noch  z u   spät zu erledigen.  
        Diese letzte Bemerkung gilt aber immer nur für das  Amt, das eine Angelegenheit zu bearbeiten oder gar zu entscheiden hat. Der in  einen Aktenvorgang mutierte Betroffene selbst hat sich unabwendbar an Fristen  und Termine zu halten. Ich könnte mich andererseits auch nicht erinnern, dass  ich jemals einem Amt eine Frist habe setzen können. 
        „Können Sie mir bitte sagen, ob ich denn nun zum  1.4. (Dienstantritt war der 1.3.) mein Gehalt einschließlich Nachzahlung  bekomme?“ fragte ich die computergestützte Dame aus dem für mich zuständigen  Team der gehaltszahlenden Dienststelle, als sich der März dem Ende zuneigte, und  gab ihr auch gleich meine Personalnummer. „Nach meinen Unterlagen sind Sie  beurlaubt und im Auslandsschuldienst!“... Natürlich war ich noch nicht als  heimgekehrt registriert, - weil von der Bezirksregierung (das sind die, die  schon seit inzwischen 15 Monaten wussten ...) bisher noch keine diesbezügliche  Meldung ergangen war. „Können Sie mir denn bitte Ihren Teamleiter geben?“,  setzte ich noch ganz ruhig fort. „Nein, der ist in Urlaub.“ „Wissen Sie, bis  wann?“ „Nein, tut mir leid, das hat er uns nicht gesagt.“ „Aber hat er denn  keinen Vertreter?“ „Doch, das schon, eine Vertreterin.“ „Also kann ich denn mit  der Vertreterin sprechen?“ „Tut mir leid, die ist krank.“ „Ich weiß, ich weiß,  Sie wissen natürlich nicht, wie lange.“ „Es tut mir wirklich leid, z.Zt. bin  ich ganz alleine hier, eine andere Kollegin ist in Mutterschaftsurlaub und Frau  N. kommt nur dienstags und donnerstags. Da verzögert sich eben manches.“ 
        Ja, da hatte sie Recht - und wie gut, dass es ihr  immer leidtat. Beruhigend war das. Da arbeiteten ja wirklich Menschen! 
        Nach diesem Telefonat geriet ich ein wenig ins  Grübeln. Sechs Wochen war ich nun wieder zurück. Obwohl ich in den letzten  Jahren regelmäßig im Heimaturlaub gewesen war, hatte ich mit deutschen Behörden  so gut wie nichts zu tun gehabt, vielmehr nur mit der unterentwickelten,  schwerfälligen, ineffizienten Bürokratie des Sitzlandes meiner Schule. Ich kann  mich noch an den wutschnaubenden Kollegen erinnern, der seinen Urlaub  verschieben musste, weil die Ausstellung seiner „Cedula“ (= offizieller  Personalausweis) drei Wochen gedauert hatte (Er hatte sie natürlich sehr spät -  zu spät - beantragt ...). 
        Als ich beim hiesigen Einwohnermeldeamt meinen  Wunsch nach einem Personalausweis äußerte, hieß es lapidar: „Das dauert sechs  Wochen!“ „Dann kann ich aber auch gleich einen neuen Pass beantragen.“ „Kein  Problem, das dauert zwei Monate.“ 
        So muss es sein, klare präzise Auskünfte und fest  benannte Zeiträume. Nicht so verwaschene Antworten im Sitzland wie „Wenn Sie  Glück haben, noch diese Woche, sonst erst in der nächsten. Aber rufen Sie ruhig  vorher mal an.“ „Bis wann kann ich anrufen?“ „Bis 17 Uhr, wenn Sie wollen.“ 
        Das muss man sich mal vorstellen, so eine  Rückständigkeit! Die arbeiten doch tatsächlich noch um diese Uhrzeit und haben  noch nicht einmal festgelegte Sprechzeiten. Ich höre noch die Stimme des  Anrufbeantworters bei einer deutschen Behörde (Sprechzeiten von 8.30 bis 11.30  Uhr, dienstags zusätzlich von 13.30 bis 15.00 Uhr): „Sie rufen außerhalb der  Sprechzeiten an. Bitte bedenken Sie ...“ 
        Ich muss zugeben, ich war durch meinen  Auslandsaufenthalt hinsichtlich des innerdeutschen Alltagslebens beträchtlich  verdorben worden.  
        Das fing schon in der ersten Woche damit an, dass  ich mir ein Auto besorgen musste und mich anfangs nicht entscheiden konnte, ob  ich nun zum freundlichen O-Händler, zu meinem V+A-Partner oder zum F-Team gehen  sollte. Ich kannte eben von „drüben“ nur einfache Auto-Verkäufer, die  bösartigerweise nur mein Geld im Visier gehabt hätten, während sie in  Deutschland doch mein Glück wollen. 
        Und dann wenig später diese ungeheure Diskussion um  Ladenschlusszeiten (Interessanterweise ging die Diskussion um die „Schluss“zeiten  und nicht um die „Öffnungs“zeiten, weil alle Welt innerlich nur auf den  Feierabend gerichtet scheint.). Es war schon ein hartes Stück Arbeit, von  meiner liebgewordenen Gewohnheit Abschied nehmen zu müssen, in aller Ruhe und  gemütlich am Samstag oder Sonntag den Wocheneinkauf zu tätigen oder nach  benötigter Kleidung o.a. zu schauen. In Uruguay wäre niemand staatlicherseits  auf die Idee gekommen, einem Händler die Öffnung seines Geschäftes zu  verbieten, wenn er dies hätte tun wollen, weil dort die Devise gilt: „Wer  arbeiten will, soll auch arbeiten dürfen.“ 
        Und noch einmal zu den schon erwähnten Sprechzeiten.  Sie liegen morgens - klar -, weil alle Menschen zur gleichen Zeit arbeiten  müssen, damit alle auch zur gleichen Zeit Freizeit haben dürfen.  
        Setzte ich mich darüber hinweg, dass ich vom  Dienstapparat ein Privatgespräch führe, wäre ja alles in Ordnung, obwohl die  Person, die ich sprechen will, meist entweder krank oder in Urlaub oder gerade  nicht am Platz ist. „Rufen Sie doch bitte in einer halben Stunde noch einmal  an!“ - „Da kann ich nicht, da habe ich Unterricht!“ - „Ja, oder morgen wieder!“  - „Da kann ich auch ...“ Ach was, ich geb’s auf! Also die  Nachmittagssprechstunde am Donnerstag! „Tut mir leid, Frau M. arbeitet nur  vormittags!“ So ein M... Gut, also dann schriftlich. „Wenn ich den Brief heute  abschicke, haben Sie ihn dann morgen?“ „Wo denken Sie hin, wir sind eine große  Behörde, das dauert mindestens acht bis zehn Tage!“ „Wie bitte???“ „Ja, Sie  müssen den Postweg rechnen, dann kommt die Sendung in unsere Poststelle; die  ist z.Zt. stark unterbesetzt; da wird die Post sortiert und dann erst kommt sie  zu den einzelnen Abteilungen; das dauert!“  
        Auf diese Art und Weise habe ich also gelernt,  welche Rolle ich hier wieder zu erfüllen habe: unwichtig und ein Niemand zu  sein. Und was jedem Bürger in gleichem Maße in der Bürokratie widerfährt,  ereilte mich in meiner neuen dienstlichen Verwendung - niedergelegt den  Lebenden zur Mahnung und den Nachkommenden zur Warnung (oder so ähnlich). 
      Man sollte doch annehmen, dass sich eine Stadt  freut, wenn sie einen sehr gut beurteilten Schulleiter mit sehr großer  Erfahrung bekommt (man verzeihe mir meine Unbescheidenheit). Weit gefehlt, denn  das interessiert zunächst einmal niemanden, weil es hier um größere, weiterreichende  kommunalpolitische Verflechtungen geht, die so ein „zugeschobener“  Landesbeamter wohl kaum versteht. Jedenfalls wurde mir diese Frage in den  ersten beiden Monaten immer und immer wieder gestellt: „Das verstehen Sie doch,  oder?“ Nein - ich verstand es nicht. Aber vielleicht verstehen Sie es, lieber  Leser.  
        Schon zehn Monate nach meiner Rückmeldung (s.o.)  erhielt ich die Nachricht, dass ich die Schule in M. übernehmen sollte, da der  Amtsinhaber zum 30. April vorzeitig pensioniert würde. Die Stadt und ich  müssten dem nur zustimmen. Also stimmte ich zu und flog im Januar extra nach  Deutschland, um für die Familie eine Wohnung zu finden (mehrere Wochen im Hotel  kann auch ein „reich gewordener“ Auslandslehrer nicht bezahlen) und um mich der  Stadt vorzustellen. Dort erfuhr ich von dem Beigeordneten, dass diese gegen  meine Bestallung „pro forma“ Einspruch eingelegt habe, weil ihr Mitspracherecht  bei der Stellenbesetzung bereits zum dritten Mal im selben Jahr (!) von der  Bezirksregierung übergangen worden sei. Das habe natürlich nichts mit mir zu  tun. „Das können Sie doch verstehen, oder?“ Mein Dienstantritt würde bestimmt  in Ordnung gehen. Gleiches hörte ich auch von der Bezirksregierung: „Das  Ministerium für Schule und Weiterbildung braucht dem nur noch zuzustimmen, aber  das wird schon in Ordnung gehen.“ Also trat ich zum 1.3. meinen Dienst an  „meiner“ zukünftigen Schule an, nicht als Schulleiter, denn der war ja noch  zwei Monate da und hatte auch schon zum Ausdruck gebracht, was er von einer  Auslandsdienstlehrkraft hielt (s.o.), sondern als Lehrer, sprich „Mädchen für  alles“.  
        „Herr Kollege, Frau B. fehlt heute noch zusätzlich,  könnten Sie bitte...“ Schon hatte ich einen neuen Tagesplan, der meinen  Vorbereitungen völlig widersprach. Nach drei Wochen kannte ich alle Klassen von  5 bis 10 und hatte nur Physik und Textiles Gestalten n i c h t unterrichtet,  wohl aber alle anderen Fächer einschließlich Hauswirtschaft. Die hohe Fehlquote  der Kollegen hatte wohl mit der allgemein beobachtbaren Tendenz zu tun, dass man  im Alter anfälliger gegen Krankheiten wird. 
        Natürlich nutzte ich die Zeit, um Augen und Ohren  offenzuhalten. Ich entdeckte in der Lehrerbücherei als neuestes Buch eins aus  dem Jahre 1976 (wir schrieben das Jahr 1996), sah in der Turnhalle die Geräte  ungenutzt vor sich hin altern, weil die Schüler während des Sports immer  Völkerball spielen mussten, hörte das Lachen einer Kollegin, als sie ein  Fortbildungsangebot las („Dys-kal-ku-lie, wat is dat dann, die han aber auch  immer wat Neues.“), beobachtete, wie nur eine Minute nach Schulschluss kein  einziger Kollege mehr anwesend war, staunte ungläubig, als der Schulleiter zwei  Schüler während der Schulzeit zur Reinigung schickte, um einen seiner Anzüge  abzuholen und traute meinen Ohren nicht, als ich den rüden Umgangston zwischen  Lehrern und Schülern (wer nicht in mindestens jedem dritten Satz „Sch...“ oder  eine andere Unflätigkeit sagte, war wohl nicht „cool“ genug) sowie die  sexualisierte Fäkaliensprache der Schüler hörte. Verwundert es dann noch, dass  ich in meinen Träumen immer wieder von Visionen der Schüler in „meiner“  Auslandsschule heimgesucht werde, in denen ein Gesprächsniveau oberhalb der  Gürtellinie gepflegt wird, auch wenn sich dort ebenfalls der allgemeine  Werteverlust in die Sprache einzuschleichen begonnen hat. Es hatte aber auf  keinen Fall vorkommen können, dass ein Lehrer zu einem Schüler „Du A.....“  sagte. 
        In der Zwischenzeit war es April geworden. Das  Ministerium für Schule und Weiterbildung hatte dem seitens der Bezirksregierung  an mich ergangenen Auftrag zugestimmt, der Bezirkspersonalrat, dessen Aufgabe  es ist, für den Bediensteten tätig zu sein, hatte sich aus  profilierungsneurotischen Gründen und weil man endlich der Bezirksregierung  „einen reinwürgen“ konnte, die Argumentation der Stadt zu eigen gemacht und  meiner Einsetzung nicht zugestimmt -„Das verstehen Sie doch, Herr Kollege,  oder?“-, der Schulleiter versuchte, seinen Pensionierungsantrag zurückzuziehen,  weil sich seine Lebensplanung (Anm.: mit 62!) geändert habe - „Das   
        m ü s s e n Sie doch verstehen, Herr Kollege, oder?“  - und die Stadt hatte inzwischen auch Klage beim Verwaltungsgericht gegen die  Bezirksregierung erhoben. Die Entscheidung würde sich auf unbestimmte Zeit  hinauszögern, auch wenn der Dezernent mir immer wieder versicherte, dass die  Sache schon in Ordnung gehen würde, zumal er die ganze Aufregung sowieso nicht  verstünde. Also noch einer, der nichts von diesen Vorgängen verstand. 
        Im Einvernehmen mit dem Schulrat wurde ich in der  Nachbarstadt an einer anderen Schule „geparkt“, um eine absurde Situation zu  vermeiden: der Schulleiter pensioniert, der Konrektor leitet kommissarisch die  Schule und der künftige Schulleiter arbeitet als Lehrer ebenda. Also übernahm  ich noch bis zum Dezember die mir schon vertraute Rolle des Mädchens für alles  an der anderen Schule. Meine Vorbereitungen zielten darauf, möglichst viele  fertige Stunden für alle Fächer griffbereit in meiner Tasche zu haben - ich  konnte ja nie wissen... Währenddessen übte sich die Bezirksregierung in der  Tugend des Wartens, denn Zeit war ja genügend da. Erst als Ende Oktober, also  acht Monate nach meiner Rückkehr, die Stadt in der Berufung vor dem  Oberverwaltungsgericht erfolgreich gewesen war, dachte „man“ daran, mir eine  andere Schulleiterstelle anstatt die in M. zu suchen. Und „man“ wurde fündig:  68 km von M. entfernt, wohin ich gezogen war, um endlich einmal die Schule  praktisch vor der Haustür zu haben. Und so fuhr ich seit Ende Dezember 1996 68  km hin und spät nachmittags (es war eine Ganztagsschule) 68 km zurück. 
        Nur ein einziges Mal hatte ich mich selbst zu einer  Sitzung einer Arbeitsgruppe von Lehrern, die eine Förderklasse (6) unterrichteten, eingeladen, weil ich als teamerfahrener Pädagoge noch dem Wahn  verfallen war, ich könnte andere an meiner Erfahrung im Bereich Deutsch als  Fremdsprache konstruktiv teilhaben lassen.   „Wir freuen uns, dass wir heute ... begrüßen dürfen ... Mann ... Ausland  ... Erfahrung ...“ Während dieser Sitzung, in der mir schnell klar wurde, dass  die Erfahrung jedes einzelnen der dort versammelten Teilnehmer höchstens bis  zur Zimmertür reichte, empfahl ein Kollege nachdrücklich ein „hervorragend  einsetzbares Material“, von dem er über einen Bekannten die Kopien hatte  bekommen können. Es handelte sich um die komplette Kopie eines DaF-lern bekannten  Buches, Ausgabe 1978. Mein vorsichtiger, die Kollegenempfindlichkeit  berücksichtigender Einwand, ob man nicht einmal nach etwas Aktuellerem schauen  sollte, wurde mit der Bemerkung pariert, dass „seine Schüler“ damit aber  hervorragende Ergebnisse erzielten. Ich habe mich nicht mehr dorthin  eingeladen. 
        Und so kam es, dass mich des Öfteren echte Sehnsucht  nach diesem unterentwickelten Land ergriff, aus dem ich vor inzwischen etwas  mehr als einem Jahr zurückgekehrt war. Dabei wäre das doch gar nicht nötig. Ich  war doch wieder daheim und hatte alles, was ich brauchte - Sie verstehen doch,  oder? 
      
         
        (1) Dieses und alle weiteren  Zitate entspringen leider nicht der Phantasie des Autors.  
        
           (2)... und da habe ich so  viele Schweißtropfen bei dem wahnwitzigen Versuch, den Schülern die Endstellung  des Verbs in „weil“-Sätzen zu lehren, vergossen!  
         
        
          (3) in Köln übliche  Ausdrucksweise 
         
        
          (4) eiflerisch; hochdeutsch: „dass  wir jetzt auch einen Drucker bekommen haben“ 
         
         
           (5) Diese  Recycling-Terminologie ist nicht mir zuzuschreiben, sondern offizieller,  kultusministerieller Sprachgebrauch 
         
        
          (6) Das sind ausländische  Schüler verschiedenen Alters, die in einer Klasse zusammengefasst werden und in einem Jahr so viel Deutsch lernen, dass sie ohne Schwierigkeiten dem normalen Unterricht folgen können! …behaupten die „Erfinder“ dieser  Maßnahme!!! 
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